Radierexpedition

  in die Stubaier Alpen, Österreich (März/April 2005)

 

Im Winter 2005 zog ich mit ca. 200 kg Expeditionsgepäck inkl. 40 kg Zinkplatten in die Stubaier Alpen/Österreich.

Ich lebte allein in einer selbstgebauten Schneehütte als Erweiterung an ein Abri, gelegen auf einem Schrofen im Fotschertal nahe Innsbruck auf 1.900 Höhenmetern.

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Nach zweiwöchigem ungewöhnlich starkem Frost (nachts minus fünfundzwanzig Grad) baute ich noch ein kleines Iglu als Übernachtungsort mit weitaus höherem Wärmekomfort.

In dieser Zeit von sechs Wochen völlig autarker Lebensweise schuf ich zehn große Kaltnadelradierungen. Zum Teil waren tägliche Wanderungen von mehreren Stunden zum Motiv keine Seltenheit. Als Fortbewegungsmittel dienten mir Schneeschuhe, mit denen ich auch mit Gepäck erstaunlich entlegene Punkte für die Motivsuche erreichen konnte.

Das Projekt dokumentierte ich mit Tagebuchaufzeichnungen, Diktiergerät, Fotografien und einem Videofilm (mit Stativ als Standkamera). Da der Film mit den grafischen Blättern als Alpenprojekt in einer Einheit steht, war es mir wichtig, dies auch entsprechend in einem Dokumentarfilm in meinem Diplom 2005 zu präsentieren.

Auszüge aus meinem Tagebuch vom 7.03.2005:

Seit drei Wochen lebe ich also nun in einer Schneehöhle und habe schon vier Radierplatten geritzt. Wenn alles gut geht, ist heute Halbzeit, Bergfest. Meine größte Sorge, verrückt oder depressiv zu werden, hat sich Gott sei Dank nicht bestätigt.

Für die örtlichen Jahreszeitverhältnisse ist es schon über einen langen Zeitraum zu kalt. Ich drücke mich täglich vor dem Gang zum "großen Geschäft" (fünf Minuten entfernt), bei anhaltenden Temperaturen um die minus zwanzig Grad tagsüber und minus fünfundzwanzig Grad nachts. Auch war ich nach zwei Wochen noch der Überzeugung, dass man sich an die Kälte anpasst, doch dies ist schlichtweg eine Scheinanpassung. Man gewöhnt sich höchstens an ein gewisses Kältegefühl – besser: Kälteempfinden. Dies birgt wiederum die Gefahr von örtlichen Erfrierungen (so übersehe ich es leicht und bekomme öfter taube Zehen). Deshalb weiterhin ständige Kontrolle!

Vor lauter Instinkthaftwerden hoffe ich noch ein Stück "Kulturmensch" zu bleiben, oder erst recht zu werden; zumindest ist es auch ein Teil des Vorhabens – Selbstquälerei ausgeschlossen. Im Gegenteil fühle ich mich hier oben immer entspannter. Gerade Zivilisation/Stadt rückt für hiesige Verhältnisse ins Unbedeutende. In Zwiespalt bringen mich zunehmend die eingedrungenen Mäuse in meiner Höhle. Wie viele es mittlerweile sind? Keine Ahnung. Da ich selbst im natürlichen Lebensraum derer lebe, bringe ich es unmöglich übers Herz, eine Mausefalle aufzustellen. Hoffentlich fressen sie nicht Rucksack oder Ähnliches an!

Ich stehe immer wieder früh vor den Auftauaktionen von Lebensmitteln und muss wie ein beflissener Hausmeister mein Häusle flicken, ohne Ende, um es vor Sonne zu schützen. Vor allem aber die alltäglichen Rituale: Nach dem Aufstehen Schnee schmelzen, Tee kochen und oft Konservendosen von bis zu acht Litern Inhalt herausschmelzen und für ein Paar Tage im voraus "Gerichte" kochen. Alles in allem nimmt es meist zwei bis drei Stunden oder mehr in Anspruch.

Die Natur/Landschaft ist atemberaubend. Es ist alles enorm grafisch! Die Berge gewinnen gegenüber dem Sommer eher noch an Form, Volumen, Richtung und Bewegung. Die organischen Eigenformen des Schnees, vom Wind gestaltet – gegenüber dem dunklen Fels: Bizzarheit! reine Kraft, Gewalt, Mächtigkeit.

Fernab jeder Vegetation, frei und verletzbar der Verwitterung wie Wunden ausgesetzt, steigern sich die Berge zu rein kraftvoller Masse. Der plastisch-raue Widerstand des Zinkmetalls entspricht gleichsam der spröden Felsen-Natur des aufgeplatzten Gesteins, gesteigert mit den Eigenmitteln der Kaltnadel, wie zum Beispiel den malerischen Grauwerten. Dem direkt gespürten Erlebnis folgt ein sukzessiver Prozess eigener Formfindung. Die notwendigen körperlichen Anstrengungen, um die Berge als intensive Begegnung und Begehung zu "Erfahren", werden ein Teil des Ganzen.

Eine große Reihe von Radierungen entstand 2005 im Rahmen einer ersten Radierexpedition in den Stubaier Alpen/Österreich. Das Leben im Freien gab mir die Chance, sich der Natur so anzunähern, dass ein intensives Arbeiten aus dem reinen Erlebnis möglich wurde.

Weitere Reisen ins Hochgebirge führten mich bereits nach Teneriffa, in die japanischen Alpen und in verschiedene Gebirgsgruppen, wie zum Beispiel das Rätikon in den Österreichischen Alpen.